Sturzbachartiger Regen, kniehoch strömt braunes Wasser durch die Straßen, eine 15 Millionen-Metropole steht still. Klitschnass kommen wir im Haus von Lydia und Christ an. Ihr ebenfalls durchnässter Hund freut sich über meinen Besuch. Mein erster Tag in Kinshasa. Darauf wartend, dass meine Kleidung trocknet, mache ich eine erste Zeichnung.
Die Dachterrasse des Büros von meinem Workshop-Partner Jérémie. Dort drüben Brazzaville, dort unten die plärrenden Kirchen, das Kreischen der Sägen, das Stöhnen der Fußballfans. Jérémie erzählt mir, dass er als Kind immer gerne sterben wollte, weil man ihm sagte, dass im Himmel all die großen Stars auf ihn warten würden.
Workshop, Tag 1. Ich habe noch nie mit einer Gruppe so gut ausgebildeter Zeichnerinnen und Zeichner gearbeitet. Mehr als das noch beeindruckt mich die Energie, mit der sie daran arbeiten, ihre Kunst in diesem schwierigen und oft nicht sehr künstlerfreundlichen Umfeld bekannter zu machen. Hat jemand einen neuen Comic gezeichnet, so organisieren sie alles gemeinsam als Gruppe – Finanzierung, Druck, Vertrieb. Einen Verlag hat niemand. »Si quelqu’un veut nous amener quelque part – bon. Sinon on avance quand-même.«*
* »Wenn uns jemand unterstützen will – schön. Wenn nicht, kommen wir auch alleine voran.«
Bandal, Viertel der Bars, »Kinshasa, c’est l’ambiance«*. After-Workshop-Biere mit deutschem Namen (»Mützig«), die Musik ist so laut, dass wir einander in die Ohren schreien müssen. Die Luft riecht nach rauchender Kohle. Ich esse auf ein Holzstäbchen gespießte Grillen, es wird mir gesagt, sie schmecken wie Krabben. Es stimmt.
* »Kinshasa bedeutet Stimmung!« / »In Kinshasa tobt das Leben!«
»Les Congolais sont les spécialistes pour venir en retard«* sagt mein Fahrer Cédrick. Er selbst ist da anders. Cédrick kennt alle Löcher in den Straßen Kinshasas, und obwohl es wieder regnet, komme ich pünktlich zum Workshop. Alle anderen sind noch nicht da. Auf der Torschwelle wartend sehe ich zu, wie die Sonne herauskommt und mit ihr das Leben zurück auf die Straße. Die Shop-Besitzer wischen ihre Plastikstühle trocken, die Frauen beginnen ihre Haare zu flechten.
* »Die Kongoles*innen sind die Spezialisten im Zuspätkommen.«
Wie laut es in Kinshasa ist, selbst nachts. Unten im Pool, der einzig ruhige Ort der Stadt. Ich tauche hinab. Einzig das Knacken meines Knies hört man hier. Solange es geht bleibe ich hier unten, dann schnappe ich nach Luft. Eine Katze sonnt sich im Licht der Gartenbeleuchtung.
Der Verkäufer schüttet eine Dose voll Erdnüsse auf den Tisch, 15 Hände greifen zu. Die Nüsse sind feucht und weich vom Regen und schmecken ganz wunderbar. Wir sind platt von fünf Tagen Workshop, Zeichnen, Diskutieren, Geschichtenerzählen. Platt und glücklich, ich zumindest. Ich schaffe es kaum mehr, mich an den Gesprächen zu beteiligen. Die Worte auf Lingala, die mir beigebracht werden, vergesse ich in dem Moment, in dem ich sie ausspreche. Noch eine Runde, »on est ensemble!«.*
* »Wir sind zusammen.« / »Wir sind ein Team.«
Congo River, Wochenende. Mein freier Tag, bevor es weiter geht nach Ruanda, zum nächsten Workshop. Fischsuppe in Bananenblättern, Maniok, laufend kommen Leute an unseren Tisch. Ein Autor liest aus seinem neuen Buch, Kinder spielen auf selbstgebastelten Gitarren, ein alter Mann singt uns Lieder über die Liebe. Weiß geschminkte Comedians machen Witze auf Lingala. Alles was ich verstehe, ist, dass sie auf meine Kosten gehen. Ich lache trotzdem mit.
»Profession?«*, will die Frau hinter dem Schalter wissen. Sie trägt Uniform und hat flaumige Koteletten auf den Wangen. »Artiste«**, antworte ich. »Artiste?«, die Frau sieht mich mit einem Blick an, der bedeuten soll, dass ich mir lieber etwas anderes suchen solle. Dann drückt sie einen Stempel in meinen Pass und wünscht mir mit einem ehrlich freundlichen Lächeln »bon voyage«.
* »Beruf?«
** »Künstler.«
Gastautor in diesem Beitrag: SEBASTIAN LÖRSCHER
Homepage: www.sebastian-loerscher.de
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